Hürden beim Schwangerschaftsabbruch

Hürden & Entwicklungen

Der reglementierte Zugang zum Schwangerschaftsabbruch
Dr. Christian Fiala ist Facharzt für Frauenheilkunde
und Geburtshilfe am Gynmed Ambulatorium
in Wien (www.gynmed.at)

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Die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in Europa unterscheiden sich erheblich. Vom Totalverbot bis zur relativ autonomen Entscheidungsfreiheit der Frau gibt es zahlreiche Varianten, den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu reglementieren. Der Autor benennt die Hürden, die zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossene Frauen und Paare in den einzelnen Ländern nehmen müssen.

Die Diagnose einer ungewollten Schwangerschaft bringt die betroffenen Frauen in einen Informationsnotstand. Innerhalb sehr kurzer Zeit benötigen sie sehr viele Informationen. Diese Suche nach Informationen wird durch einige Besonderheiten deutlich erschwert: Gefragt ist sowohlGrundsätzliches über den Schwangerschaftsabbruch, als auch Konkretes, wie Methoden des Schwangerschaftsabbruchs und Adressen. Die anstehende Entscheidung hat große Auswirkungen auf das eigene soziale Umfeld, zentrale zukünftige Lebensberei-
che und ist nicht rückgängig zu machen. Mit dem Partner ist eine zweite
Person unmittelbar und direkt betroffen und in die Entscheidung mehr oder weniger mit einbezogen.

Bevormundung

Auf diese Bedürfnisse reagierten und reagieren Gesellschaften unterschiedlich, wobei historisch fast ausnahmslos eine rigide Bevormundung vorherrschte. Diese war Ausdruck der Überzeugung einer männlich dominierten Gesellschaft, dass schwangere Frauen nicht verantwortungsvoll über hre Schwangerschaft entscheiden könnten. Deshalb müsste die Gesellschaft eingreifen, um sicherzustellen, dass „richtig“ entschieden werde. Regelungen, die auf dieser Bevormundung basieren, wurden in den letzten Jahrzehnten langsam geändert und den Frauen, bzw. Paaren wurde die Autonomie über ihre Fruchtbarkeit zum größten Teil zurückgegeben.
Als Ergebnis dieser Entwicklung haben z. B. Frauen in Holland nicht nur ein sehr hohes Ausmaß an Autonomie, sondern deshalb auch die weltweit niedrigste Rate an Schwangerschaftsabbrüchen. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Regelungen, welche der alten Diktion folgen und sich von inzwischen etablierten Standards in der Medizin und Sozialhilfe abheben.

Hürde Nr. 1: Zwangsberatung

Ein Beispiel ist u. a. die zwangsweise vorgeschriebene Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch. Auch wenn diese z. B. vor zwei Jahren in Frankreich abgeschafft wurde, besteht sie in einigen Ländern immer noch mit unterschiedlichen Vorgaben. Während z. B. in Holland und Österreich jeder Arzt diese Beratung vornehmen darf und es keine inhaltlichen Vorgaben gibt, ist sie in Deutschland wesentlich rigider vorgeschrieben und erschwert den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Unklar bleibt, warum es so schwer ist, eine Beratung als das anzubieten, was sonst selbstverständlich ist, nämlich freiwillig.

Hürde Nr. 2: „Bedenkzeit“

Ein anderes Beispiel für die nach wie vor bestehende Bevormundung von Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft, ist die vorgeschriebene „Bedenkzeit“ zwischen einer Beratung und der Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Idee einer gesetzlich vorgeschriebenen „Bedenkzeit“ zwischen einer Beratung

und einer medizinischen Behandlung ist in der Medizin aus gutem Grund unüblich. Vielmehr garantiert der Gesetzgeber für die Arzt-Patienten-Beziehung einen Sonderstatus und schützt diese ausdrücklich. Es obliegt alleine den beiden handelnden Personen, das beste Vorgehen für eine konkrete Situation zu finden. Wenn nun per Gesetz lediglich vor dem Schwangerschaftsabbruch eine „Bedenkzeit“ zwangsweise verordnet wird, scheint dies auf folgenden Missverständnissen zu beruhen:

  • Schwangere Frauen müssten quasi vor sich selbst geschützt werden, damit sie sich nicht vorschnell gegen ein Kind und für das Ende der Schwangerschaft entscheiden.
  • Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft würden erst nach einer Beratung mit einer für sie fremden Person in den eigentlichen Entscheidungsfindungs-prozess einsteigen
  • und eine willkürlich lange Bedenkzeit hätte einen überwiegend positiven Effekt und könnte die Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen reduzieren. Es ist offensichtlich, dass keine dieser Annahmen zutrifft.

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Wie in der Tabelle dargestellt, ist die vorgeschriebene Bedenkzeit von Land zu Land sehr unterschiedlich, was die Länge, die Berechnung und Ausnahmen betrifft. Es ist davon auszugehen, dass sich die Bedürfnisse der Frauen in den angeführten Ländern nicht wesentlich unterscheiden. Womit die Wartezeit den meisten Frauen als das erscheinen muss, was sie ist: eine willkürliche und ihren Bedürfnissen nicht entsprechende Bevormundung.
Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern spezielle Regelungen. In Deutschland zum Beispiel darf eine Frau nicht von den gleichen Fachkräften beraten und behandelt werden. Eine solche Regelung ist in der Medizin einmalig. Vielmehr ist es selbstverständlicher Standard, dass die Fachkräfte, zu denen man im Rahmen von Vorgesprächen und Untersuchungen Vertrauen aufgebaut hat, auch einen Eingriff durchführen, beziehungsweise während des Eingriffes auch die Betreuung
übernehmen.

Interessanterweise ist die Vorschrift im Nachbarland Belgien genau umgekehrt, dort darf die Beratung ausschließlich durch die selbe Institution erfolgen, die auch den Schwangerschaftsabbruch durchführt. Auch bei dieser Vorschrift ist kein Vorteil für die betroffene Frau erkennbar. Es ist schwer nachvollziehbar, warum
dieser wichtige Qualitätsstandard ausgerechnet bei einer Krisensituation einer ungewollten Schwangerschaft nicht gelten soll. In anderen Bereichen der Medizin würde ein derartiges Vorgehen aus gutem Grund als unethisch bis hin zu seelisch grausam gelten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Rahmenbedingungen im Vorfeld eines Schwangerschaftsabbruchs sowie bei der Durchführung in den meisten Ländern kaum bis gar nicht nach den Bedürfnissen der betroffenen Frauen ausgerichtet sind und häufig wenig Spielraum für individuelle Bedürfnisse lassen. Vielmehr manifestieren sich in den willkürlich anmutenden und von Land zu Land
sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen die Phantasien und Projektionen
von beruflich Unerfahrenen und persönlich Nichtbetroffenen.

Ermutigende Entwicklungen

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte war insofern ermutigend, als die Regelungen in vielen Ländern geändert wurden und heute weniger restriktiv sind. Besonders erwähnenswert ist das Beispiel Kanada. Dort hat sich bereits seit langem die Einsicht durchgesetzt, dass ein Schwangerschaftsabbruch einer ungewollten Schwangerschaft eine ärztliche Behandlung ist und keiner gesetzlichen Einmischung bedarf. Deshalb erklärte der oberste Gerichtshof das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch 1988 nach längeren juristischen Auseinandersetzungen als verfassungswidrig und strich es ersatzlos.

Abschließend sollte noch der Genderaspekt betrachtet werden. Männer können bekanntlich weder schwanger werden, noch selbst einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Die Erhaltung der reproduktiven Gesundheit von Frauen liegt aber auch in unserem Interesse. Wir sollten uns deshalb für Rahmenbedingungen
einsetzen, damit Frauen, die ja durch unser Zutun schwanger wurden, eine ungewollte Schwangerschaft bestmöglichst und ohne unnötiges Leid beenden können.

Kosten: sehr variabel

Abgesehen von der ständig wachsenden Aufmerksamkeit für Schwangerschafts-abbruchmethoden ist über die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs immer noch zu wenig bekannt. Die vorhandenen Daten wurden mit einem Fragebogen erhoben, der u.a. an Gynäkologen, Krankenhäuser und Familienplanungszentren
versandt wurde. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Kosten für einen
Schwangerschaftsabbruch stark variieren – innerhalb von Europa bewegen
sie sich zum Beispiel zwischen 0 und 517 Euro, wobei die meisten Länder in Westeuropa die teilweise oder vollständige Kostenübernahme unterstützen.  Im
Gegensatz dazu müssen die meisten Frauen in Osteuropa und auch in Österreich
den Schwangerschaftsabbruch selbst bezahlen. Darüber hinaus gibt es immer noch einige Länder in Europa, in denen Frauen aufgrund des Einflusses der Katholischen Kirche überhaupt keinen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch haben, weil er illegal ist. Dies gilt für Irland, Malta und Polen. In Portugal ergab eine kürzlich erfolgte Volksabstimmung eine Mehrheit für die Legalisierung.
Es bleibt abzuwarten, wann dies umgesetzt wird.

Fazit: Offensichtlich gibt es in der Europäischen Union eine ungenügende
Kommunikation und Kooperation der Verantwortlichen in Bezug auf die praktischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs. Die Kostenübernahme
von Verhütung und Schwangerschaftsabbruch – so lässt sich aus der Studie tendenziell ablesen – ist kein Luxus, sondern Kennzeichen und Basis für den hohen Stellenwert der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in der Gesellschaft allgemein.

familia Magazin 01/2007